Raaft- und Borteralpu, September 2021
Ein Intensiver, emotionaler und abenteuerlicher Sommer ist zu Ende. Einige haben meinen Beitrag auf SRF gesehen. Vielen Dank für die guten Feedbacks. Die zweite Aufalpung ging wesentlich einfacher und ruhiger. Ja, ich konnte es richtig geniessen.
Den ganzen Sommer durften die Schafe die saftigen Alpenkräuter, Gräser und Blumen fressen. Wir erlebten viele Abenteuer beim Auskundschaften der Alp. Immer wieder stiessen wir auf neue Futterplätze. Nun kennen die Schafe und ich die Alp sehr gut. In der zweiten Hälfte des Alpsommers war das Wetter wunderschön.
Die vier Herdenschutzhunde haben ihre Aufgabe sehr gut gemeistert. Wir hatten keinen Wolfsangriff und die Begegnungen mit den Wanderern waren problemlos. Meine drei Hütehunde, besonders Wamiro und Cayu, hatten einen strengen Sommer.
Die provisorische Unterkunft war manchmal grenzwertig, besonders gegen den Schluss, als die Nächte immer kälter wurden.
Noch während der Alpzeit konnte ich die Holzschindeln vom Hüttendach etappenweise entfernen und im Stall lagern.
Nach dem Alpabzug, Schafe schären und Umzug in den Pfyn-Finges Naturpark fand der Helikoptertransport mit etwa drei Tonnen Baumaterial ins Chiemattji statt.
Nach der intensiven Planung und Materialbestellung konnte mit dem Ausbau der Hütte begonnen werden. Ich danke meinem Vater, der alles geplant und koordiniert hat.
Dank dem schönen Wetter und hilfsbereiten, motivierten Menschen sind bis heute das Dach, die Bodenbalken und die Windschutzfolie montiert. Die Wetterprognosen für die nächste Zeit sind gut. So werden wir noch weiterarbeiten können
Gämsblindheit
Untersuchungen haben ergeben, dass die Infektion mit Mycoplasma conjunctivae, dem Erreger der Gämsblindheit, in der Schweizer Schafpopulation weit verbreitet ist. Die Infektion wird
offensichtlich durch häufige Kontakte zwischen Schafen verschiedener Herden aufrechterhalten. Hingegen tritt die Gämsblindheit bei der Gämse nur sporadisch auf, und die Infektion kann sich
innerhalb der Wildtierpopulation nicht auf Dauer halten.
Die Gämsblindheit ist innerhalb einer Herde oder eines Rudels hoch ansteckend. Auf kurze Distanz ist der Erreger leicht übertragbar. Hingegen ist die zwischenartliche Übertragung, die
grundsätzlich sowohl von Haustier auf Wildtier als auch von Wildtier auf Haustier möglich ist, ein selteneres Ereignis. Dies erklärt das lediglich sporadische Auftreten der Gämsblindheit bei
Gämse und Steinbock.
Die Bekämpfung der Gämsblindheit beim Schaf ist heute auf Herdenebene nicht möglich. Schuldzuweisungen sind deshalb fehl am Platz. Massnahmen zur Bekämpfung der Infektion werden weiter erforscht.
Naturforschende Gesellschaft Graubünden
Zwei Wochen im Chiemattji
Während zweier Augustwochen durfte ich diesen Sommer Sarah Müri auf der Alp begleiten, um Beobachtungen zu meiner Maturaarbeit über Herdenschutzhunde anzustellen. An einem wunderschön gelegenen
Ort im Bortertal, abseits der Hektik des Stadtgewimmels liegt das Chiemattji. Ich habe einen Einblick in einen Beruf bekommen, bei dem viel Aufwand, Herzblut und Kraft gefordert ist. Ich habe
erfahren wie viel Ausdauer nötig ist, um zu schauen, dass es den Schafen gut geht.
Da die Schafe teilweise krank wurden, durch die Gämsblindheit oder sonst nicht fit waren, und das Wetter diesen Sommer nicht unbedingt immer in die Karten spielte war sehr viel Geduld gefragt.
Wir mussten die Schafe mehrmals behandeln. Auch das dauernde Umstecken der Pferche ist körperlich sehr anspruchsvoll. Ich konnte viel lernen und bin beeindruckt wie Sarah dies koordiniert.
Der Beruf als Schafhirtin hat nebst den schwierigen Momenten auch sehr viel Schönes. Die Verbindung zur Natur ist im Leben als Hirtin gut spürbar. Sei dies bei Regen, Gewitter, Nebel, Sonne oder
gar Schnee wir waren immer draussen und zogen mit den Schafen und den Hunden über die verlassenen Gebiete der Alp auf der Suche nach gutem Futter. Es war eine unvergessliche Erfahrung, die mich
sehr vieles gelernt hat.
Lea
Meine Zeit auf der Schafalp Pletschu/Chiemattji
Kühe gehen im Sommer in die Alpen – das war mir bekannt. Ziegen auch, wenngleich etwas weniger. Aber was ist eigentlich mit den Schafen? Ich hatte keine Ahnung, aber meine Neugier war geweckt.
Deshalb nahm ich an einem Modul der Schweizerischen Schafhirtenausbildung in Visp teil. Mein Interesse wuchs weiter. Deshalb entschied ich mich, mal etwas ganz anderes zu machen und kündigte
meine Arbeitsstelle. Zuerst arbeitete ich im Winter/Frühling 2021 auf einem Bio-Landwirtschaftsbetrieb in Maisprach (BL) beim Ablammen. Ab Juni ging’s dann los – ab in die Berge zu Sarah! Ich war
gespannt, wie das alles werden würde. Ich war beeindruckt, als ich erlebte, wie viel Arbeit hinter der Sömmerung von Schafen steckt. Das idyllische Bild vom Schafhirten oder von der Schafhirtin,
die gemütlich auf den saftigen Wiesen steht und ihren Schafen beim Weiden zuschaut, stimmt nur zu einem geringen Teil. Der viel grössere Teil ist durch und durch Knochenarbeit: Bei jedem Wetter –
kalt, warm, Regen oder Sonne – wir waren stundenlang draussen. Um die Schafe vor Wolfsangriffen zu schützen, erstellten wir 1-2-mal wöchentlich einen Nachtpferch mit ca. 5 Netzen à 50 Meter (ca.
4'600 m2). So ein Netz wiegt beinahe 8 kg. Dabei mussten wir darauf achten, dass die Schafe in den Felsen genügend Unterschlupfmöglichkeiten hatten. Gleichzeitig durfte der Zaun nicht zu
nahe an grossen Felsblöcken sein, damit der Wolf nicht in den Pferch hineinspringen konnte. Und zum Boden hin durfte der Zaun auch keine Lücken aufweisen, damit der Wolf nicht unten
durchschlüpfen konnte. Und auf dem felsigen Untergrund die Zaunstecken so zu platzieren, dass sie hielten, war gar nicht so einfach. Alles in allem nahm diese Arbeit mehrere Stunden in
Anspruch.
Ebenso überrascht war ich über die Konzentration und die emotionale Energie, welche die Arbeit als Schafhirtin erforderte: Kommen alle Schafe gut mit? Lahmt keines? Fressen sie, legen sie an
Gewicht zu? Glänzt ihr Fell oder ist es matt? Wie geht es den vier Herdenschutzhunden und den drei Hütehunden? Wie arbeiten sie? Respektieren sie die Schafe, können sie sich durchsetzen ohne die
Schafe zu hart anzugehen? Welche Schafe sind schwach, welche krank? Gerade der letzte Punkt war ein grosses Thema, da wir mit Gämsblindheit in der Herde zu kämpfen hatten. Das bedeutete:
Regelmässige Behandlung von rund 275 Schafen. Jedes einzelne Schaf musste kontrolliert werden und erhielten, wenn nötig das erforderliche Medikament. Trotzdem wurden nicht alle gesund und
manchmal starb auch das eine oder andere Tier aus Schwäche. Das auszuhalten, kostete Kraft.
Aber es gab sie auch – die unvergesslich schönen Momente: 360-Grad-Bergspitzen-Panorama, blühende Alpenrosen, morgendliche Tautropfen im Gras, die Stille und Ruhe fernab von der Zivilisation, der
sprudelnde Bergbach, die wärmende Sonne, der stahlblaue Himmel, Nebelschwaden, die sich auflösten, die ruhige Freude, die mich beim Beobachten der weidenden Schafen überkam, Zeit fürs Nachdenken
zu haben, sich über einen warmen Schlafsack und eine warme Mahlzeit freuen, sich körperlich müde zu fühlen und nicht nur im Kopf und mit Sarah über Gott und die Welt zu sprechen. Es war eine
reiche und wertvolle Zeit – eine Erfahrung, die ich unter keinen Umständen missen möchte!
Madeleine
Raaftalpu, Chiemattji und Ängi - Juli, August
Heute Morgen ziehe ich mit den Tieren los. Da es sonnig und gewitterfrei ist geht es heute hoch hinauf. Der Weg zur Quelle vom Brunnetjibach ist schwierig... er sieht einfacher aus.
Die Euphorie von fliessendem Wasser und sattem Grün wird bald durch grosse Steinblöcke und Büsche gebremst. Es ist wie im Leben. Ich sehe die ausgebaute Hütte im Chiemattji vor mir, die Alpzeit mit den Schafen. Doch der Weg zum Ziel hat Steinblöcke und Büsche. Umkehren? Weiterziehen?
Stehe ich mit den Schafen vor einem solchem Weg gibt es nur eines: langsam und bedacht überwinden wir die Steine, umgehen die Büsche und werden anschliessend mit Quellwasser und grünem Futter belohnt.
So war es für mich auch mit dem Entscheid, die Hütte auszubauen. Ja, ich gehe diesen Weg mit allen Herausforderungen.
Die hoffentlich letzten "Steinblöcke und Büsche" sind und waren…
Das nasskalte Wetter und der viele Schnee bei der Alphütte Chiemattji bis Mitte Juni haben den Ausbau der Hütte verunmöglicht (letztes Jahr war im Mai aller Schnee weg!)
Erst am 2. Juli konnte ich mit den Schafen und Hunden ins Weidegebiet ziehen.
Garstiges Regenwetter, die extrem feuchte Zwischenhütte Zer Pletschu und plötzlich kranke Tiere zwangen mich, nochmals für eine Woche hinunter ins Tal zu steigen. Das zerrte an Nerven und Kräften.
Nach dem zweiten Alpaufzug am 14. Juli darf ich diesen Sommer ersatzweise die Alphütte im Ängi bewohnen. Sie liegt aber eine halbe Stunde weg vom Nachtfärrich.
Ich bin so froh für die zwei ausgewachsenen und die zwei jungen Herdenschutzhunde. Sie bewachen die Schafherde sehr gewissenhaft.
Herzlichen Dank für die Spenden, das Mitdenken und Begleiten.
Alpgefühle - Juli, August
Nebelschwaden ziehen die Felswände empor. Das Gras ist nass und ein kalter Wind weht mir um die Ohren. Die Schafe und Hunde ziehen gemeinsam mit mir zu den besten Futterplätzen. Diesen Sommer sind warme Sonnentage rar. Umso mehr geniesse ich jeden einzelnen davon. Wärme und Trockenheit ist Glück.
Unglaublich! Jetzt im August werde ich mit warmen Sonnentagen beglückt.
Oft denke ich an meine Vorfahren, welche mit sehr wenig Komfort auf der Alp gelebt haben. Essen, Windschatten, Feuer, ein Schlafplatz und Wasser vom Bach. Die Tiere waren das Hab und Gut, das sie beschützten und zu den besten Futterplätzen führten.
Meine Arbeit ist dieselbe, doch ich verlasse nur für einige Monate das komfortable Leben und tauche in die karge Einfachheit.
Trockene Wolldecken am Abend im Bett, die warmen trockenen Kleider und gutes Essen – herrlich. Ich sitze im Stall auf einer Kiste, der Boden ist feucht mit alten Kuhmistresten – aber es ist trocken und hat seinen eigenen Zauber.
Komfort und Bequemlichkeit loslassen und die Zufriedenheit im ganz Einfachen finden – das macht mich so glücklich.
Alpgefühl ist, wenn…
Flugwetter - 12. Juni
Früh am Morgen steige ich zu der Hütte hoch, um das Material in Empfang zu nehmen.
Herrlich, die Luft klar und kühl. Die Hunde spüren die Aufregung und können sich kaum halten mit Toben in den Schneefeldern. Erstaunlich, wie sich die Alpvegetation in nur einer Woche verändert hat. Es grünt und der Schnee geht weiter zurück.
Landeanflug Chiemattji, hier richte ich für diesen Sommer im Stall einen Unterschlupf für Lunch und Schönwetterübernachtungen ein. Essen und Material sind vor Ort. Die Renovation der Hütte beginnt im Herbst. Am 20. Juni steigen wir hoch, um alles genaustens auszumessen und zu planen. Dann wird Holz und Material bestellt und im Tal vorbereitet.
In Zer Pletschu werden wir die ersten Tage oder Wochen der Alpzeit schlafen. Die Hütte hat ein intaktes Dach und die Wände sind stabil. Mit wenig Aufwand kann ich ein angenehmes Alpzuhause einrichten.
Packen - 11.Juni
Nach langer Planung, Organisation und zahlreichen Überlegungen ist es so weit. Das Alpmaterial wird geflogen. Netze, Viehhüter, Solaranlage, Essen, Hundefutter, Kleider und vieles mehr. Alles wird am Vortag sorgfältig in Big Bag Säcke der Air Zermatt verstaut. Es braucht viele Stunden Arbeit, bis das gesamte Material zusammen ist, bis es am Abflugort ist und bis alles so verstaut steht. Am 12 Juni fliegt der Heli die Säcke auf die Alp.
Mein Projekt - 5. Juni
Ich kann endlich zum Chiemattji wandern. Im Gasalpji steige ich aus dem Auto - es regnet in Strömen. Nebelfetzen schleichen durch den nassen Wald. Der Aufstieg ist meist schon schneefrei. Ich kann einige Gämsen mit ihren Jungen beobachten. Die Alp erwacht langsam aus dem Winterschlaf, die Blumen blühen und überall fliesst Wasser. Wunderschön!
Alperwachen - 29. Mail
Aufstieg zur unteren Hütte Zer Pletschu. Noch liegt der Schnee, nur die steilen südlichen Flanken sind frei. Nach einer kurzen Pause steige ich weiter hoch, meine Hunde mit dabei. Ich biege um einen grossen Stein - da steht er - ein Wolf. Wir haben uns nur kurz angeschaut. Dann verschwand er im Wald.